22. Juni 2022
––– siehe auch ERGÄNZUNGEN am Ende der Meldung: Interview mit Carola Roloff, andere Medien –––
Zum ersten Mal in der modernen Geschichte begannen gestern in Bhutan die von der königlichen Familie unterstützten Feierlichkeiten zur vollständigen Ordination von Frauen im tibetischen Buddhismus. Je Khenpo, das spirituelle Oberhaupt der Drugpa Kagyu Schule in Bhutan, der größten buddhistischen Schule des Landes, leitete eine Zeremonie bei der 146 Frauen das Bhikshuni-Gelübde erhielten.
Diese Initiative ist ein wichtiger Schritt, um die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in der tibetisch-buddhistischen Geistlichkeit zu beseitigen. Bis heute wurde Frauen nur die Novizinnen-Ordination gewährt, während Männer die volle Ordination erhalten konnten. Damit war festgeschrieben, dass Frauen keine gleichberechtigte Rolle im Orden übernehmen konnten.
Mit diesem historischen Ereignis wird nun zum ersten Mal in der neueren Geschichte im tibetischen Buddhismus ein Bhikshuni-Sangha – ein Orden vollordinierter Frauen – gegründet. Bisher haben sich führende Persönlichkeiten des tibetischen Buddhismus, wie der Dalai Lama und der Karmapa, zwar öffentlich für die volle Ordination von Frauen ausgesprochen, waren aber nicht bereit, eine Bhikshuni-Ordination für Frauen in ihren Gemeinschaften durchzusetzen.
Bhutanische Buddhistinnen und Buddhisten praktizieren den tibetischen Buddhismus, aber die Hierarchie ihrer Klostergemeinschaften unterscheidet sich von der der Tibeter:innen im Exil, für die der Dalai Lama die oberste Autorität in religiösen und politischen Fragen ist. In Bhutan hat dieser Schritt der erstmaligen vollen Ordination für Frauen eine breite Unterstützung auf den höchsten Ebenen der Laien- und Ordensgemeinschaft gefunden.
Seine Majestät der König von Bhutan, (Drukgyal) Jigme Singye Wangchuk und Ihre Majestät die Königinmutter (Gyalyum) Tshering Yangdoen Wangchuck gehörten zu denen, die ihre aktive Unterstützung für dieses Ereignis demonstrierten. Der König reiste zum Ort der Ordination und hielt eine ausführliche Ansprache, in der er die Nonnen in diesem historischen Schritt bestärkte. Auch die Königinmutter nahm an der Zeremonie teil und brachte ihre Unterstützung auf anschauliche Weise zum Ausdruck.
Solche öffentliche Unterstützung von höchster gesellschaftlicher und geistlicher Ebene ist ein gutes Zeichen dafür, dass dieser Bhikshuni-Sangha den soziale Rückhalt erhält, der es ihm ermöglichen wird, zu gedeihen. Obwohl der Buddha selbst Frauen die volle Ordination gewährte und ein Orden voll ordinierter Frauen viele Jahrhunderte lang in Indien florierte, wurde diese Möglichkeit den Frauen im tibetischen Buddhismus in der neueren Zeit bisher verwehrt.
Augenzeugen berichten, dass sie während der Zeremonie, die zur Sommersonnenwende begann, Regenbögen um die Sonne herum sahen. Die Ordinationszeremonie dauert heute noch an und wird erst morgen abgeschlossen sein. Es wird größte Sorgfalt darauf verwendet, das Ritual korrekt durchzuführen. Nach den Ordensregeln müssen Frauen in Dreiergruppen ordiniert werden. Angesichts der großen Zahl von Kandidatinnen, die die volle Ordination erhalten sollen, werden drei Tage benötigt, um die erforderlichen Rituale für alle 146 neuen Bhikshunis zu erfüllen. Es gibt bereits Pläne, um die Nonnen in ihrer neuen Rolle als Trägerinnen der Bhikshuni-Gelübde zu schulen und sie als voll ordinierte Nonnen zu unterstützen.
Die meisten Kandidatinnen stammen aus Nonnenklöstern in ganz Bhutan, einige Frauen kamen aus Nonnenklöstern in Nachbarländern, eine englische Nonne wohnt in Bhutan.
Im Jahr 2007 wurden dem Dalai Lama auf einer Konferenz an der Universität Hamburg, die auf seine Bitte hin einberufen worden war, zwei gültige Optionen für die Verleihung der vollen Ordination an Frauen gemäß dem von allen tibetischen Buddhistinnen und Buddhisten befolgten Mulasarvastivada-Vinaya, dem Ordenskodex, vorgestellt. Die Vinaya-Gelehrten, die an der Konferenz teilgenommen hatten, waren sich einig, dass Frauen die Bhikshuni-Gelübde in einer Zeremonie, an der nur voll ordinierte Mönche des tibetischen buddhistischen Mönchsordens teilnähmen, rechtmäßig verliehen werden könnten. Am Ende erklärte der Dalai Lama jedoch in einer Privataudienz mit den Organisatorinnen und Organisatoren der Konferenz, dass er sich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage sähe, die volle Ordination für Frauen durchzusetzen, da die männlichen Mönche seines tibetischen Ordens das ablehnen.
Die Ordinationszeremonie, die heute in Bhutan stattfand, folgte der ersten der beiden gültigen Möglichkeiten für die Verleihung der Bhikshuni-Gelübde an Frauen gemäß den Mulasarvastivada-Vinaya, denen die tibetischen Buddhistinnen und Buddhisten folgen: die Ordination durch die männliche Mönchs-Sangha allein. Nachdem die heute ordinierten Frauen ihre Gelübde zwölf Jahre lang gehalten haben, können sie selbst, gemäß den Ordensregeln immer gemeinsam mit den männlichen Mönchen, die Bhikshuni-Gelübde an künftige Frauengenerationen verleihen.
Diese historische Nachricht wurde heute von der zentralen monastischen Körperschaft von Bhutan auf Facebook bekannt gegeben. Die Ordinationsveranstaltung selbst wurde von der Bhutanese Nuns‘ Foundation organisiert.
Jampa Tsedroen (Dr. Carola Roloff), Damcho D. Finnegan